Traumfabrik an der Jannowitzbrücke Von Stefanie Reiher Detlef Dee! Soosts Tanzschule hat Tag der offenen Tür und (nicht nur) die Mädchen und Jungen, die mal Stars werden möchten kommen zum Schauen, Ausprobieren und Tanzen. »Ey, Florian, wie schnell willst du denn noch tanzen?« Auf dem grauen Beton stehen sechs Mädchen und zwei Jungen in fester Formation. Alle versuchen gleichzeitig das Durcheinander der Takte, Rhythmen und Geschwindigkeiten zu sortieren. Ihre Turnschuhe knirschen auf den kleinen Steinen auf dem Boden. Die Musik, die in den Ohren dröhnt, passt nicht zu dem Knirschen und nicht zu den Tanzschritten. Zu ihr tanzt gerade eine andere Gruppe auf der Bühne um die Ecke. Wir befinden uns auf dem Hinterhof. Dem Hinterhof des Hinterhofs, in dem die Bühne aufgebaut ist und der provisorische Bratwurststand. Von der Bühne trennt die Übenden nur ein Mülltonnengrüppchen; von der mit dem ganzen vibrierenden Körper wahrnehmbaren Hip-Hopmusik trennt sie der Takt. Noch zwei Stunden bis zu dem Auftritt. Ist hier jemand aufgeregt? Nervöse Blicke nach rechts und links, dann ein vorsichtiges »Ja«. Bloß nicht vor den anderen als Angsthase dastehen, bloß nicht eingestehen, dass das hier längst noch keine Routine ist. Es ist eine Gruppe der Tanzschule von Detlef Dee! Soost; oder besser aus Dee!s Dance Club, die gleich bei Dee!s Dance Day, andern Orts auch Tag der offenen Tür genannt, auftreten wird. Auf diesem Hinterhof stehen lauter zukünftige Stars, denn hier ist »Tanzen wie die Stars angesagt«. Oder doch nicht? Florian F. (14) zumindest sagt: »Es macht einfach Spaß hier zu tanzen!«. Er ist einer von acht Jungen, die hier regelmäßig zusammen mit 400 Mädchen tanzen. Dieses Verhältnis scheint für ihn kein Problem zu sein. Im Gegenteil, das Grinsen ist breit, als er auf die Vor- und Nachteile der Frauenquote angesprochen wird. Und warum tanzt er ausgerechnet hier, wenn es nur um den Spaß an der Bewegung geht? Warum in der Tanzschule, die schon auf Bannern, die man aus der S-Bahn lesen kann damit wirbt, Popstars zu machen? »Dee! kannte ich aus dem Fernsehen, klar war das ein Grund hier hin zu kommen. Und wenn es sich ergibt, will ich vielleicht auch mal Tänzer werden. Aber nur wenn es sich ergibt« sagt Florian vorsichtig. Detlef Dee! Soost, der überragende Star der Tanzschule war der Choreograph der Pro7-Serie »Popstars« und hat Gruppen, wie den NoAngels, BroSis oder Overground zum Ruhm verholfen. Das ist hier der Stoff aus dem die Träume sind. Der Traum irgendwann von Dee! als besonderes Talent entdeckt zu werden. Der Traum von der großen Karriere, von goldenen Schallplatten und Teddys und BHs auf der Bühne. »Der größte Teil kommt mit dem Anspruch ein Star zu werden« sagt Cornelia Ansorge (36) die Geschäftsführerin, besser: Center Managerin von Dee!s Dance Club. »Man muss aufpassen, dass sich die Jugendlichen nicht überschätzen oder abheben.« Auch wenn sie versucht das Bild einer normalen Tanzschule zu erwecken: die Betonung der besseren Chancen für echte Talente kommt nicht zu kurz. Florian hat sich noch nicht getraut eine dieser Chancen aktiv zu nutzen. »Bisher habe ich an den Castings für größere Shows, wie »The Dome« oder »Die Bravo-Super-Show« noch nicht teilgenommen, aber vielleicht bald.« Er tanzt schließlich erst seit einem Jahr und hat sich auf die Tänzerkarriere noch nicht festgelegt, wenn es nicht klappt studiert er vielleicht Informatik. Diese Bodenständigkeit nimmt man dem Jungen im grünen Kapuzenpulli sofort ab. Bei Jessica Ruhe (15), die sich ins Gespräch einmischt, ist das anders. Sie will später Musical studieren und arbeitet hart an diesem Traum. Stolz erzählt sie von ihrem Musikvideodreh, auch wenn sie die Gruppe nicht kannte, den Namen schon wieder vergessen hat und das Video nie auf MTV gesehen hat. Das ist hier der Stoff aus dem die Träume sind. Vielleicht ist es auch das Make-Up, das wolkenartige Parfum, das nach einem Auftritt dem Schweißgeruch weicht. Der Wunsch wenigstens so auszusehen, wie die ganz Großen. Auch wenn es kaum einer laut sagt und sich dabei allzu weit aus dem Fenster lehnt: In den Augen der Jugendlichen blitzt die Hoffnung eines Tages nicht mehr nur in einer der Gruppen auf der kleinen Bühne aufzutreten, oder zu »performen« wie es hier heißt, sondern als »Act« angekündigt zu werden. So wie die blinde Joana Zimmer, einer der Stars oder Sternchen am heutigen Tag. »Immerhin ist sie in den Top20 der offiziellen Single Charts« berichtet die Center Managerin glücklich, »Dee! arbeitet sehr hart mit ihr.« Vielleicht wird Dee! eines Tages auch sehr hart mit Florian arbeiten und aus dem Jungen im grünen Sweatshirt einen professioneller Streetdancer machen. Ein junger Florian F!. Oder er wird eben doch Informatiker.
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